AZ-Kritik zu Harry Styles im Olympiastadion München: Liebe lieber lauter (2024)

München - Was hat dieses altehrwürdige Rund im Laufe der Jahre nicht schon alles erlebt: Tränen, Triumphe und die Takte der größten Bands aller Zeiten wurden unter dem Zeltdach zelebriert. Doch am Mittwochabend wurde es so bunt und inklusiv wie selten zuvor. Pop-Megastar Harry Styles ist mit seiner "Love On Tour" Show im Olympiastadion zu Gast und brachte mit seiner ersten Show bereits zahlreiche Fans mit Heiterkeit, Herz und Hits zum Dahinschmelzen – am Donnerstag folgt Show Nummer zwei. Musikalischer Schreikrampf vor der Bühne statt sportlicher Dreikampf auf der Tartanbahn war angesagt.

Harry Styles in München: Familien feiern zusammen im Olympiastadion

Dabei war es gar nicht seine musikalische Leistung, die von den Abenden zwischen den Gehörgängen hängen blieb. Harmoniefolgen und Sounds der 70er und 80er-Jahre wurden da zu den besten Hits von heute zusammengeschraubt. Ein wenig "Scuba-duba-dooo" hier (Music for a Sushi Restaurant) oder ein "I just wanna make you happier, baby" da (Late Night Talking). Thematisch seicht verknüpft mit Liebe, Trauer und Selbstakzeptanz. Das machen andere Pop-Sternchen auch.

Trotzdem sah man Familien-Väter und Mütter auf der Tribüne, die völlig unironisch von "Kiwi" oder "Watermelon Sugar" sangen. Ob sie wussten, dass Styles dabei von oralen Erlebnissen mit einer Geliebten sang? Egal, dieser Hit lief doch ständig, wenn das Radio dudelte. Steter Tropfen bringt die Textsicherheit.

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Bei einigen Hits wie "Cinema" zeigte die glänzend aufgelegte Band um Gitarrist Mitch Rowland, Schlagzeugerin Sarah Jones und einigen Bläsern, wie man mit ein wenig mehr Instrumenten-Power einen eigentlich seicht produzierten Hit mit ordentlich Dampf auf die Bühne legen kann.

Interessanter war jedoch seine grundsätzliche Haltung, auf die man das Brennglas der Konzertkritik legen sollte. Die Art, wie Styles den Fans von der Bühne herab begegnete. Ein charmanter Entertainer und eine Art Galionsfigur für die LGBTQ+ Community. Er kämpfte in den Songs und Zwischenansagen für Freiheit, Akzeptanz und Toleranz. Auch Beziehungstipps waren im Eintrittspreis inklusive.

Harry-Styles-Hysterie an allen Ecken

"Er hat mich betrogen, soll ich ihm verzeihen?", fragte Cecilia ihren Star per Papp-Schild und wohl auch alle anderen Zehntausend. Fünf Jahre hielt das junge Glück. Buh-Rufe gegen den wahrscheinlich neuen Ex-Freund Flo und der Rat von Harry: "Du verdienst jemanden besseren, der dich mit Respekt behandelt." Tränen (allerdings der Freude) auch bei Lara, die in Glitzer-Jacke ein Geburtstagsständchen zum 18. Geburtstag bekam.

Hätte man nicht gewusst, wer da oben in buntem und glitzerndem Klamotten auf der riesigen Bühne stand, man hätte es zumindest akustisch nie verstanden. "Hi, mein Name ist Harry", rief er fast schüchtern zur Begrüßung. "Euer Job ist jetzt so viel Spaß, wie möglich zu haben."

Im Vorfeld geisterte durch WhatsApp-Gruppen und bei Social Media der Aufruf, doch bitte buntes, durchsichtiges Papier mitzubringen. Während der langen Wartezeit nach dem Einlass schnitten die Fans, die schon da waren, das Papier vor der Bühne zusammen und verteilten es. Zum Song "Matilda" und "Sign Of The Time" wurden die bunten Blätter vor tausende Handy-Lichter gehalten und erzeugten einen Regenbogen-Effekt. Der Sänger sprintete in Regenbogenfahne bei "Treat People With Kindness" über die Bühne. Wer nicht mitmachen wollte, legte sich im Innenraum einfach auf den Boden und träumte in den zehn Grad kalten Nachthimmel hinein oder nahm an der Polonaise teil, die von einem riesigen Koala-Kostüm angeführt wurde. Die ganz normale Harry-Hysterie an allen Ecken eben.

Fans campierten seit Sonntagabend vor dem Stadion

Den Briten selbst überraschte diese ganze Münchner-Zuneigung nicht (mehr). Er hat die harte Boyband-Schule hinter sich und wusste genau, wie er auf die nicht enden wollenden, lautstark vorgetragenen Liebesbekundungen reagieren sollte. Als Mitglied von "One Direction" verkaufte er Millionen von Platten. Er lernte in der schnelllebigen Musikindustrie, wie es ist, wenn einem Herzen aller Geschlechter zufliegen. Die Fans haben die Anfangs-Zeiten nie vergessen. Mister Styles streute als Dank in seine Setlist immer wieder Hits der Ex-Band ein. Da klang "Stockholm Syndrom" auch mit seiner einzelnen Stimme spannend und beim zwölf Jahre alten "What Makes You Beautiful" wähnte man sich fast zurück in die Zeit von Bravo Hits und Star-Schnitt Postern.

Die Fans von damals waren jetzt wohl die besagten Eltern auf der Tribüne. Diesmal mussten sie nicht mehr stundenlang für die besten Plätze vor dem Stadion campieren, wie einige junge Fans bereits seit Sonntagabend. Dennoch nutzten sie die Gunst der Stunde und sagen bei "As It Was" aus vollem Hals mit. Oder schrien ihn im gleichen Song aus voller Kehle an "Leave America", er sollte doch bitte öfter aus seiner Wahlheimat nach Europa kommen – ein Running Gag unter den Fans.

Styles ist mit ihnen erwachsen geworden. Geschichten vom Teenie-Band-Mitglied zum Megastar hat die Musikindustrie genug zu bieten. Der Brite wirkte anders. Auf der Bühne suchte man vergebens nach großem Pomp mit dicken Uhren, vielen Tänzern oder teuren Klamotten. Er schien lieber ein Feminist als ein Frauenschwarm sein zu wollen. In seinen Songs ging es eher um den weiblichen org*smus als um übergroße Geschlechtsteile.

Es wirkte bei ihm so, als hätte er sich morgens im Hotel einfach das gegriffen, was gerade auf dem Stuhl lag und sich dann auf dem Weg zum Olympia-Gelände gemacht. Die Fans taten es ihm nach. Blusen, Hemden, Hosen, T-Shirts wirkten mal zu eng, mal zu kurz, mal zu weit oder mal zu lang und so richtig passten sie farblich nicht zueinander. Ein wenig happy Hippie garniert mit 70er-Jahre-Schlaghosen-Retro und Herz-Brillen.

Fans vergleichen Harry Styles mit Prince und David Bowie

Nicht nur Outfits der Fans waren vielfältig. Auch die Vergleiche zu anderen Musikern. Da wurde der stylische Harry auf der Tribüne als neuer Prince bezeichnet. Oder in einem Atemzug mit David Bowie, Elton John oder Robbie Williams genannt. An einem unbekannten Ort in dieser Schnittmenge bewegte er sich dann tatsächlich wie ein Flummi mit Extraportion Herz und Heiterkeit über die Laufstege, die weit ins Publikum reinreichen.

Und das, obwohl er gefühlt nur vier Tanzschritte beherrschte. Wedeln mit dem linken Arm, winken mit dem rechten Arm, Hüftgewackel hier und ein Sprung da. Fertig war die Choreo des Abends. Den Fans war es egal. Ihnen war am liebsten, wenn die riesige Video-Leinwand das verschmitzte Lächeln des Hauptdarstellers zeigte. Am besten in Großaufnahme. Man kennt sich, man grüßt sich. Und genau das ist der Safe-Space, die sichere Zone, in den sich viele Fans gesehnt hatten. Oder frei nach dem Titel des aktuellen Albums "Harry’s House". Fühlt euch wohl in seinem Haus. Setzt euch an den Küchentisch mit "Adore You". Tanzt mit ihm vor dem Spiegel im Schlafzimmer zu "Satellite". Sitzt heulend auf dem Bett zu "Fine Line".

Aufgeregte Harry-Hysterie, die sich nach den letzten Klängen in genüssliche Euphorie wandelte. Vor dem Stadion warteten schon Straßenmusiker, um die Nacht mit Cover-Songs zu verlängern. Manche Fans sicherten sich gleich Tickets für beide Shows. Jede Generation erlebt auf diese Arte ihre Superstars. Es scheint, als wäre Harry Styles gerade das Aufregendste, was die Pop-Musik zu bieten hat. Der letzte Schrei sozusagen, wenn der letzte Schrei im Stadion verklungen war.

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Author: Carlyn Walter

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